Artikel von Anita Wünschmann, Journalistin aus Berlin
Axel Venn kommt mir im Treppenhaus eines Friedenauer Mietshauses ent-gegen. Eine freundliche Geste. Man muss nicht suchen. Erste Etage. Einen Tee? Der Besucher wird zu einem Sessel geleitet: « Das ist der Interviewerstuhl! ».
Dazu ein rotes Sofa, nein nichts Knalliges, ein warmer Ton. Englischrot? Ein venezianisches Rot? Würde man « gemütlich » sagen? Begrifflichkeit in exakte Farbnuancen zu übersetzen, das leistet das « Farbwörterbuch » für 360 Adjektive, deren Farbentsprechung mit einer Auswahl von über tausend Kombinationen aus dem RAL – Farbensystem so exakt wie möglich übertragen wird.
In Korrespondenz zu dem modernen Dreisitzer ist ein Biedermeiersofa mit einem altrosefarbenen Bezug in zarten Streifen arrangiert. Die Decke weiß, der Boden mit einem Rosen-Kelim bedeckt. Die Wand ist in einem sehr hellen Grau gehalten und mit großformatige Malereien des Hausherrn geschmückt: Es sind abstrakt – poetische Farbräume, in die man ebenso eintauchen kann wie einen das Ambiente des Trendforschers wohltuend umfängt. Man würde die Atmosphäre als « anregend » beschreiben.
Durch die Tür noch ein schneller Blick ins Arbeitszimmer – hier dominieren eher Grüngrautöne und verbinden sich mit dem edlen Klang von Leuchtern und der vitalen Turbulenz der Bücher – dann ist alles serviert. Porzellan und Silberkännchen, Tee und Kuchen.
Hier feiern die Farben ein Fest. « Ich habe eine Idiosynkrasie gegen weiß, » sagt Buchautor Axel Venn. Jahrzehntelang habe es in « schrecklicher Weise als Rauhfaserpandemie das Leben bestimmt. » Es folgt Architektenschelte, weil der Verzicht auf « Neunmillionenneunhundertneunundneunzigtausendneun-hundertneunundneunzig Farbtöne und Nuancen ein Vergehen an der Sinnesentwicklung » sei. Ungefähr 10 Millionen Farbwerte sind für den erwachsenen Menschen unterscheidbar. Mit diesem Vermögen – dank dreier Sehzapfen im inneren Auge und der Mischleistung durch das Gehirn – muss man doch was anstellen! Im kiloschwerem Farbwörterbuch wurden die additiven Farbskalen ähnlich der Preiscodes für den Kassenscanner beim Supermarkt auch für Wörter wie « gütig », « gönnerhaft », « gewellt », « salzig » oder « unflätig » zusammengestellt, um empirisch herauszufinden, wie deckungs-gleich sich der bezeichnende Bestandteil des Sprachgebildes bzw. wie emotional assoziativ das Wort auf verschiedene Menschen wirkt. Sprache und Farbe fungieren in Wechselwahrnehmung. « Weltläufigkeit » weist, so die Untersuchung, einen hohen Prozentsatz an Blautönen auf. Damit kann man umgehen.
Eine Lieblingsfarbe zu nennen sei eine Fiktion, ein Rudiment aus der Kindheit, als man gerade drei bis zehn Farben namentlich kannte und immer antworteten: rot, oder blau oder gelb. Es sei so Axel Venn, nur ein « Lippenbekenntnis », weil man abstrakt befragt, auf eingeschliffene Formeln, die obendrein die Grundlage des universellen menschlichen Farbsehens bilden, zurückgreift. Real bevorzuge man einmal dieses einmal jenes und fast nie eine Einzelfarbe sondern einen Klang. Die soziokulturelle Einbindung ist dabei durchaus entscheidend. « Ist Rot als Trend vorbei, wird auch vom Einzelnen Rot im nach außen hin signifikanten Bereich wie Mode, Wohnen oder Auto fallen gelassen », behauptet der mit internationalen Design – Preisen geehrte Trendforscher. Trends sind ein Spiel und fungieren natürlich als Konsummotor.
Keine Angst vor Farben! Man darf sich nicht auf laute « Lippenstifttöne und reine Blütenfarben » beschränken, sondern sollte sich auf einen Reichtum, der mit weiß beginnt und mit schwarz endet einlassen. Die Farben tragen bei Axel Venn Namen, ehe sie zu industriellen Nummerncodes umformuliert werden. Farben haben Individualität und Entstehungsgeschichte, deshalb könne man sie als Wesen betrachten. Ein Ikonen – Altrosa ist eben ein Ahne im Vergleich zum Puderpink.
Axel Venn erfindet klangvolle Doppelnamen, um Farbtyp und Farbwert zu einem differenzierten Ganzen zu verbinden und damit eine möglichst genaue Wiedererkennung beim Verbraucher auslösen zu können.
Farbe und Wohnen ist ein wichtiges Thema. Man kann ein positives Wohlempfinden herbeiführen, wenn man mit sanften Tönen und ihren Abstufungen ein Wechsel von Anregung und Beruhigung herbeiführt, sagt Axel Venn. Es ginge psychophysisch betrachtet um einen Ausgleich wie Ying und Yang und farbkulturell um Assoziationen und Bedeutungsverschiebungen. « Sehen sie hier! Das Rot ist sehr warm. Es kehrt hier im Stuhl wieder, etwas mehr in ein Rosé hineinspielend. » Es findet sich in den Blüten des Gemäldes, lebt vor dem Grau, das im Nachbarzimmer etwas grüner angemischt ist, spielt in die Bilder hinein, die gegenüber platziert eine Zwiesprache führen und mit dem Goldgelb der Lampenschirme Sympathie entfalten. Im Dreiklang aus rosa/orange/gelb glaubt man Jacopo da Pontormos manieristische Postrenaissance aufleuchten zu sehen: Joseph, der mit der Karawane nach Ägypten zieht. Die Wohnräume des Farbexperten verweigern sich aktuellem Geschmack und erinnern an Gemälde und Gärten: Dort ein Grün und da ein Gold, hier ein Rot, ein Gelb und Grau und Graublau, Grüngrau, Rose, Zitronengelb, Oliv. Axel Venn sagt: « Nebelgrau, gedecktes Biotop grün, Altsorbetweiß ».
Weiß ist die Farbe der Moderne und bildet die Grundlage minimalistischer Räume wahlweise verbunden mit Holz, Glas oder Beton. Es ermöglicht ein Schweben und erweitert den Raum ob der Projektionsmöglichkeit, ebenso wie es ihn klar definiert. Axel Venn ist kein Purist. Er kann sich für einen White Cube nicht erwärmen, eher polemisch erhitzen. Sein Plädoyer gilt den Farben, die er mindestens zwei Jahre voraus erfolgreich « wahrsagen » muss, denn ganze Industriezweige und Unternehmen im Inn – und Ausland vertrauen seinen Prognosen. Axel Venn hat an der Folkwang Schule in Essen Design studiert und ist seit Jahrzehnten mit Farbentwicklungen befasst. Er gehört zur disparaten und exklusiven Familie der international tätigen Farbtrendforscher, die zweimal im Jahr mit ihren Scouts und Fachleuten zusammenkommen und aus unzähligen Farbschnipseln Zukunftsprognosen herausfiltern und eben nicht allein nur Farben, sondern thematische Trends voraussagen: « Asien » sei solch ein Trendthema gewesen, was wohl niemand verwundert. Seit Ausbruch der Krise galt der Blick vermehrt den « eigenen ästhetischen Ressourcen ». Ironisch oder ernst gerieten Hirschgeweih und Kuckucksuhr sowie Fliegenpilz und Birkenwald ins nähere Umfeld. Eine neue Welle wird sich aus Lateinamerika speisen. Brasilien fungiere als Trendstichwort. Nichts sei lustvoller, so sagt es der Mann mit den blauen Augen, als einen Trend zu kippen. Nach Brasilien kommt Afrika! Es ginge dann um den mittleren Kontinent und eine urban-technoide Kultur, um Rasanz, Müll, Recycling. Trends werden gemacht durch hingucken und aufgreifen aller Informationen, die in die Kommunikation Eingang finden. Die Farbauswahl ist selbst eine kommunikative Strategie. « Honeycuckle » schlägt die amerikanische Farbfirma Pantone für die Mode des Frühjahrs 2011 vor. Ein Pinkrot als Nummer eins. Die nach einer seltenen Blume benannte Farbe « soll erfreuen soll und positive Energie freisetzen ». Soweit die Strategie.
Man reibt sich manchmal die Augen, da ist eine neue Farbe schon allenthalben vorhanden. Herbeiposaunt. Etwa gelb. Ein lichtes Gelb mit einer Nuance grün, von Li Edelkoort, der Grand Dame der Trendforschung aus Paris und New York ebenso wie von Axel Venn « vorhergesagt » und von Farbgiganten wie der dänischen Firma AkzoNobel als « Neues Gelb » in die Welt entlassen. Spätestens seit der Messe IMM Cologne ist es bis in die Seitenstraßen hinein zu sehen. Es sei ein sehr « edler Ton, der sich den vorhandenen Graunuancen belebend zu Seite stellt ». Das neue Gelb sei kühler und lichter als das Rotgelb vergangener Jahre. Es hat seinen visuellen Ursprung in Gesteinen, aus Sanden und Mineralen. Sind die seltenen Erden gelb? Es findet sich in Marmor und vermittelt wie dieser Kalkstein Eleganz. Gelb ist eine Farbe mit höchst ambivalenter Assoziationsgeschichte und wird subtil und sparsam eingesetzt. Es ist gewissermaßen konkret und flach und evoziert eine unterschwellige Sehnsucht nach moderner Exotik. Axel Venn sagt: « Es gibt dem Purismus die Seele zurück. »




