Anita Wünschmann, Journalistin, Berlin
Jan Gehl, (geb. 1936) Architekt und Stadtplaner aus Kopenhagen gilt als ein Enfant Terrible, als ein Polemiker der Stadterneuerung. Die Transformation seiner Heimatstadt Kopenhagen, inzwischen die beliebteste Stadt Europas, ist maßgeblich auf seinen Einfluss zurückzuführen. Ebenso der Umbau Moskaus und Manhattans. Der Berliner Jovis Verlag hat eine deutschsprachige Ausgabe des Buches „Städte für Menschen“ aufgelegt.
Das Wort Einladung klingt sehr sympathisch. Wer wollte sich nicht gern einladen lassen? Noch dazu in eine angenehme Stadt oder als Teilnehmer, urbanes Leben mitzugestalten. Positive Wahrnehmungen machen eine Stadt zum Erlebnisraum. Ein wichtiger Aspekt nicht zuletzt auch im Städtewettbewerb. Der 78-Jährige berät Städte wie Shanghai, New York, Almaty, Singapur und St. Petersburg. Ein Blick genügt Jan Gehl, um eine lebenswerte Stadt zu erkennen: „Schauen Sie hin, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen unterwegs sind!“
„Wie wollen wir leben?“, diese Frage treibt freilich nicht allein den dänischen Planer um. Aber seit 40 Jahren treibt er den Paradigmenwechsel im städtebaulichen Denken voran.
Es geht um die Transformation der Maßverhältnisse. Städteplanung kann nicht allein aus der Vogelperspektive gelingen. Signifikant sei dafür das „Brasilia-Syndrom“. Die in den Fünfzigern spektakulär durchgeplante Millionenstadt lasse von oben effektvolle Stadtsymbolik – der Adler mit ausgebreiteten Schwingen – erkennen, ohne das die Straßen und Plätze der Alltagsperspektive der Menschen wirklich gerecht würden. Der Maßstab der Sechziger war die Beschleunigung schlechthin; ein Neubeginn und Aufbruch mit positiv gedachtem, weitem Raum, Fenster auf und Licht, und einer auf die Motorisierung zugeschnittene Wahrnehmungstheorie. Die Kritik an der freien Bebauung, an entgrenzten Wohngebieten und an von Schneisen zerfurchten Städten lief spätestens seit den Achtzigern zur Hochform auf. Und dabei die frappierende Einsicht: Mehr Straßen bringen nicht weniger Stau sondern mehr Autos.
Jan Gehl nimmt die alte europäische Stadt – Siena mit ihrer muschelförmigen Piazza del Campo und die Fußgängerstadt Venedig (Einwurf: aber Venedigs Autos sind die Gondeln und Motorboote!) – als Konstante eines faszinierenden Lebensgefühls und setzt mit seiner Kritik am städteplanerischen Konzept der Nachkriegsmoderne an. Er fordert nicht allein verschiedene Planungsblick-winkel zu verschränken sondern explizit vom menschlichen Maß, den Sinneseindrücken und Bewegungstempi (Wie lange braucht man um einen Platz zu überqueren? Wie zermürbend ist die Wartezeit für Fußgänger an der Ampel?) auszugehen, um generell das Lebensgefühl, soziale Interaktion, Kommunikation und Gesundheit zu stärken. Im Konkreten bedeutet es: fantasievolle, öffentliche Räume und weg von der autoorientierten hin zur fußläufigen Stadt und zur „Cycle-City“, salopp gesagt hin zur Radlerstadt, wie man sie in Berlin Mitte noch wildwüchsig und in Kopenhagen organisiert erleben kann oder an Fahrradsonntagen von New York City bis Bogotà.
„Das menschliche Maß“, bedeutet also die psychischen und physischen ebenso wie die soziokulturellen Bedingungen der Menschen zum wichtigsten Planungskriterium im Städtebau zu machen. Dazu gehören Raum-vorstellungen und Gebäudehöhen oder scheinbar belanglose Dinge wie attraktive Stützen – Poller, Pfeiler, Säulen, Nischen, damit der wartende und schauende Bürger sich geborgen fühlen kann. Der Mensch, bevor er etwas Gezieltes von primärer oder temporärer Wichtigkeit tut wie arbeiten, joggen, schaufensterbummeln, steht, sitzt, geht, guckt, hört und spricht. Diese universellen Daseinsformen werden von Jan Gehl für die Um- und Neugestaltung urbaner Räume analysiert und seine Vorschläge reichen Verkehrsplanungen als Geh- und Radwegsplanung, Mischnutzungen und dem Ausbau (radfreundlicher) Nahverkehrs über anregend gestaltete Erdgeschosse und Fassaden, bis zu Begrünung und Stadtmöbeln. Es ist faszinierend wie aufschlussreich die Schnappschüsse die theoretischen Untersuchungen stärken, auch wie viele seiner fast täglich geschossenen Bilder von gelungenen Stadt(lebens)räumen erzählen.
Die Menschen müssen Lust haben, hinaus auf die Straße zu gehen, um diese zu beleben, um der Stadt ein lebendiges Dasein zu geben. Das kommt allen zugute und stärkt nicht zuletzt das Sicherheitsgefühl – so etwa, lautet einer der Appelle von Jahn Gehl an die Stadtverantwortlichen, weil zunächst einmal gebaut oder rückgebaut und angepflanzt werden muss, ehe es einladend ist, das Auto zu verlassen und anderweitig, sich zu b e w e g e n.
„MakeCity“ – das erste Architekturfestival in Berlin zeigt wie populär die Fragen sind, zumal wenn es um Städtewachstum geht und als Berliner möchte man sagen, es lebe die Kitzkultur! Die Kleinteiligkeit der Areale generell oder als Bestandteile eines größeren städtischen Gebildes, die bewusste Gestaltung von „Übergangszonen“ zwischen Außen- und Innenraum, zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen ob innerhalb der City oder in reihenhausbebauten Randlagen ist einer der Schlüssel zum Wohlfühlen. Hermetische Abgrenzung, Bereiche also wie man sie zum Beispiel entlang riesiger Bürokomplexe oder reiner Wohnbebauung erlebt, machen eine Stadt, auch einen Vorort tot: “…wo interessante Übergänge fehlen und die Erdgeschosse abweisend und monoton sind, werden die Wege vom Gefühl her länger….“ oder positiv gesagt:„wenn der Komplex auf Augenhöhe interessant ist, ist das ganze Viertel interessant“. Man braucht nur auf die Straße zu gehen, um diesen Analysen quasi auf dem Fuß zu folgen.
Das Sympathische am Buch „Menschen für Städte“ ist , dass es nicht um eine vorausseherischen Überforderung geht sondern um Flexibilität mit dem Hergebrachten unkonventionell umzugehen inklusive des Wissens, dass sich „im Lauf der Zeit mit … erhöhter Kaufkraft und demografischen Entwicklungen natürlich auch Nutzungsmuster und Wohnkultur (ändern)“
Als positive Entwicklungsbeispiele werden San Franzisko (Hochhauspläne wurden wegen der zu befürchtenden Windentwicklungen durch Bürgervotum abgeschmettert) Kopenhagen (Radwegesystem, die Oper(!) und „Orte mit positiver Aufenthaltsqualität“)usw. angeführt. Der Westen baut um, steigert die Lebensqualität und kämpft für bezahlbare Wohnungen und gemischte Verkehrsbereiche, für Wasserspiele und Spielplätze bei sich verknappendem kommunalen Budget, derweil die „Wachstumsstädte“ in Asien ihre Hochhäuser hinklotzen, dass es einen schwindelt. Nicht allein der extremen Schnelligkeit wegen sondern weil mit zunehmender Höhe, so Jan Gehl, sich der sinnliche Kontakt und damit die Kommunikation zur Straße verliert. Auch die Megacity kann man in kleineren Arealen denken! Immer mehr Menschen wohnen in Städten und seit der Jahrtausendwende so viele wie noch nie. Das allein ist ein Muss, so der Planer, dafür, sich der komplexen Aufgaben anzunehmen, um aus unwirtlichen Wohnstädten Lebensorte zu machen. Und überall auf der Welt bedeutet der öffentliche Raum, wenn er der menschlichen Dimension und seiner Sehnsucht nach Schönheit entspricht, Einladung zur Begegnung, zum kleinen Tratsch übers Wetter und die neuesten Nachrichten ebenso als Aufforderung oder Chance zur demokratischen Willensbekundung der Bürger oder schlicht zur Beobachtung der Mitmenschen verbunden mit dem Gefühl dazuzugehören.




