Was hat eine Kinderbretterbude – bitte noch selbst gebaut – im eigenen Garten mit einem High-Tech-Acht-Geschosser in Holzhybridbauweise zu tun? Was verbindet Holzschirme in Sevilla mit einem als « Klangkörper » bezeichneten Pavillon, was die Papierfalttechnik Origami mit einer Kapelle? Es sind Fragen die in völlig verschiedene Richtungen führen. Allen gemeinsam aber ist die Faszination Holz. Holz im Bau. Für jüngste Furore sorgte der Berliner Architekt Jürgen Mayer H., mit dem atemberaubenden Projekt « Metropol Parasol » (2011) in Sevilla, der derzeit größten Holzklebekonstruktion der Welt. Die Proportion des Ensembles erinnert an die Geschichte von Gulliver bei den Zwergen und als hätte dieser großzügig Riesensonnenschirme gegen die 50-Grad-Celsius-Nachmittagshitze auf die Plaza de la Encarnation aufgestellt. Die sechs “Parasoles” überspannen ein ganzes Altstadtareal samt archäologischem Museum, eine überdachte Markthalle im Erdgeschoss und bieten in schwindelerregender Höhe eine Promenade, auf der man spazieren kann. Ein Restaurant bekrönt die Schirme, die ob ihrer fließenden Formen an Salvatore Dalis surreale Bildfindungen denken lassen. Dabei folgt alles einer strengen Logik aus (Bewegungs)Mustern und Geometrie. JMH gilt als Shootingstar einer organisch skulpturalen Bauweise. Warum aber wurde hier im Süden aus Holz gebaut? Ist nicht Sevilla die Stadt der Steine und filigranen Eisengitter? Die Flamenco – Stadt wollte zumindest unter der Ära des damaligen Bürgermeisters Trendsetter sein und Kosten sparen. Mit der Entscheidung gegen einen früheren Stahlbetonentwurf in weiß haben die Spanier nun einen aufregenden Schattenplatz und eine Weltneuheit, erzählt Andre Santer, der den konfliktreichen, siebenjährigen Bauprozess vor Ort betreut hat.
Pinienholz, Zedernholz, Eiche, Birke, Fichte – Holz ist schön. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, wenn man um eine artenreiche Aufforstung bemüht ist und dabei das Klima in der jeweiligen Region im Blick behält. Nachhaltigkeit ist die politisch korrekte Vokabel. Es scheint dabei nicht ganz entschieden, ob die Ökologie den Markt revolutioniert oder dieser die Ökoargumente vor sich hertreibt. Auf jeden Fall gibt es eine Rückbesinnung auf das warme, freundliche Material aus dem Wald, das verbunden mit neuen Technologien (für die « Parasole » z.B. wurde Furnierschichtholz mit einer eigens entwickelten Polyurethanschicht überzogen)zum begehrten Baustoff wird. « Heute ist Holz ein Industrieprodukt », sagt der Architekt Tom Kaden, der seit zwanzig Jahren mit Holz baut und für Mystifizierung (Kirsche ist weiblich, Eiche hart und männlich, man spürt den Baum, das Holz spricht…usw.)wenig Sinn hat. Es geht um die Zukunft: Man muss Holzbau aus seiner Turnhallen- und Einfamilienhausnische herausholen und großstadttauglich machen.
Schon immer wurden, da wo üppige Wälder wuchsen Häuser aus Holz gebaut. Skandinavische Fertigteilhäuser sind bis heute up to date, süddeutsche, Schweizer und Tiroler Bautradition verspricht Behaglichkeit, die aus einer Zeit herrührt als Kuh und Mensch noch unter einem riesigen Dach dicht beieinander lebten und der Blick von üppigen Balkonen gerade bis zur nächsten Bergspitze reichte. Man kann nach Nordamerika gucken und dort die Shakertradition studieren. Spätestens seit Orhan Pamuks « Istanbul » – Roman weiß man um die schönen Villen mit charmanten Veranden der alten Bosporusmetropole, dieser erdbebengefährdeten Stadt, für die zukünftige elastische Holzkonstruktionen ein Überlebenskapital sein könnten. Japanische Tempel geben den Sinnen Genugtuung. Und wer wollte den Charme, der aus dem europäischen Mittelalter herrührenden vielfältigen Fachwerkbauweise leugnen? Und Russland? Russische Holzhäuser – das sind die Datschen, das waren die Schtetlhäuser, die Chagall gemalt hat samt Ziege obenauf. Man kann sie hören die Lieder auf die Liebe und den Mond. Es gab aber auch das historische Moskau, in dem Napoleons Feuer wütete.
« Die Feuerangst » ist noch immer ein Problem, wenn man in der Stadt Holzhäuser bauen will », erklärt Thomas Kaden der allein in Berlin schon etliche Vielgeschosser in Holzfertigbauweise hingeklotzt hat und dem mit seinem « S3 » (2008)im Prenzlauer Berg eine Europaneuheit gelungen war. « Danach haben sie uns die Bude eingerannt. Das hat auf einmal alle interessiert, wie das möglich war in der Innenstadt so ein Holzding mit sieben Geschossen hinzusetzen. »
Die Holzverarbeitung für den Wohnungsbau kann in Technologieepochen beschrieben werden. Sehr wahrscheinlich bildet das Blockhaus den Anfang. Baumstämme wurden dafür grob bebeilt und anschließend übereinandergelegt. Mit der Erfindung der Dampferzeugung ging es gleichzeitig mit der Sägetechnik voran. Stämme wurden zu Brettern zerteilt. Ein nächster Sprung in Richtung Industrialisierung erlaubte das Holz zu zerspanen und die Feinschnipsel zu verdichten. Nun hatte man Platten für Tische und Wände. Heute macht die Hochtechnologie selbst vor der Molekularstruktur der Holzfasern nicht halt.
Holz das Wort mit dem Anhauch, dem offenen o und der verschnurpsten Konsonantverbindung, ein Verwandter von Bolz und Golz und so kurz wie Sturz ist in Einsilber aus den Anfängen der Sprachentwicklung. Inzwischen punktet es mit seiner ganzen Magie (oder doch eher Bauphysik) um spektakuläre Architektur fühlbar zu machen. Der Holzweg ist also keine Sackgasse! Das zumindest weiß man seit Mitte der Neunziger. Das Umdenken begann. Die ersten Ökohäuser aus naturbelassener Lärche mit ihrer etwas schlurfigen Anmutung vermochten noch zu polarisieren. Holz galt als Barackenbaustoff und die Lärchenbuden hatten ihren Platz bestenfalls am Ortsrand. Bald aber folgten diverse Fassadenverkleidungen, die es bis in die Innenstädte schafften. Diese gipfelten vor wenigen Jahren in kompletten eleganten Außenwandplatten aus Edelhölzern (z.B. Architekt Valentini, Luxemburg). Ein irritierender Effekt. Innen und Außen am Bau sorgte für gleichermaßen Überraschungen und wirkte wie der Musterwechsel bei Wendejacken.
Die Zeit war reif für eine Reihe von Designpreisen, zu deren bedeutendster der zweijährig ausgelobte und mit 50 000 Euro dotierte « Spirit of Nature Wood Architecture Award » (Finnland ab 1998) gehört. Dieser Preis wird für « das herausragende Werk eines Architekten im Kontext von ökologischem und nachhaltigem Bauen » vergeben. Zu den Gewinnern gehören Renzo Piano (z. B. Kaufhaus in Köln)und der Schweizer Peter Zumthor. Zur Riege der First-Class-Holzbauer gehören weiterhin der japanische Baupoet – Kengo Kuma und der Australier Richard Leplastrier. Finnland als Ausloberland ist dabei kein Zufall. Hier hat schon Alvar Aalto, dessen Vater Förster war, 1939 die zukunftsweisende Villa Mairea mitten hinein in einen Kiefernwald gebaut und dabei die alte finnische Holzbautradition in die klaren Strukturen der Moderne umformuliert. Besonders attraktiv und raumbildend wirken die freistehenden schlanken Stützen, die so angeordnet sind, als wachsen Birken und Kiefern gleich bis in den Salon hinein. Es gibt trotz der Stahlbeton-Glas-Leidenschaft der Moderne einige Beispiele, wo der Einsatz von Holz unter funktional-ästhetischen Aspekten brillant realisiert, andere wo zumindest Holz als Ummantelung wirkungsvoll inszeniert wurde. Aber auch jene schlichte Schönheit wie bei Konrad Wachsmanns 1929 gebautem Sommerhaus für Albert Einstein (Es ist das erste vorgefertigte Haus der Moderne, eine Fachwerkskonstruktion kombiniert mit Tafel- und Plattenbau) in Caputh. Und es spricht quasi bände, dass selbst Le Courbusier als seinen Alterssitz eine Holzhütte an den Strand von Meton stellte.
In den letzten zehn Jahren nimmt die Holzbauarchitektur rasant zu. Der Bogen wird auch ganz wortwörtlich weit gespannt. Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne untersucht man die Raffinesse der japanischen Falttechnik Origami. Das Papierfalten kann Anregung dafür geben, z. B. Dächer zu konstruieren, die so leicht wirken als wären Kraniche gelandet. Shigeru Ban wurde wiederum mit Papierbau berühmt und zelebriert 2010 ein schwebendes Dach für das Centre Pompidou in Metz als eine filigrane Holz-Gitterschale, die wie ein fein geflochtener Strohhut das Ensemble aus Betonkuben überdacht. Tom Kaden, der gerade bei Aedes, der legendären Berliner Architekten-Schmiede einen Workshop abhält, nennt es « digitale Schreinerei »- Innovationen, die u.a. dank CNS-Fräsen möglich wurden. Kaden selbst, ein gebürtige Erzgebirgler, der an der Kunsthochschule in Weißensee studiert hatte, baut freundliche weiße Häuser schnörkellos und geradlinig. Mit seinem Pioniergeist erobert er die Bauherrenherzen. (« So ein Holzfertigplattenhaus kann eben zig mal schneller hochgezogen werden als ein üblicher Stahlbetonbau ».)
In den letzten Jahren wird ein weltweiter Technologiewettstreit ausgetragen. Wer baut das höchste Holzhaus? Ein vergleichbares Projekt am Arlberg – federführend ist der österreichische Architekt Hermann Kaufmann, Professor in München – kann demnächst mit dem LifeCycleTower, einem Holzhybridhaus, auf acht Geschosse verweisen. In London gibt es neun, (Thistleton Architects). Es wird von hundert Metern geträumt. Die Höhe derzeit liegt bei über 20 Metern. Geschichten vom Holz werden herumgereicht, bis sich die Balken biegen.
Anita Wünschmann




